Kurt Eisner
Kulturstiftung
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Preisträger 2002: Claudia Rogge

m o b

Eines sei hier vorausgeschickt: es ist sicherlich schwer, wenn nicht gar unmöglich, sämtliche künstlerische Absichten Claudia Rogges auf ein paar Katalogseiten zu manifestieren. Dies mag zum einen an der Komplexität ihres Projektes " m o b" liegen; zum anderen sicherlich an den möglichen Assoziationsketten wie - Masse, Bewegung, Statik, Muster, Distanz und Nähe, die sich einem bei der Beschäftigung mit ihrer Arbeit erschließen.

Was ist m o b? - Zuerst einmal bedient sich das Projekt m o b eines Fahrzeuges, das man landsläufig "LKW" nennt, ein umgebauter 7,5-Tonner, der, mit einer voll gläsernen Ladefläche versehen, als mobiler Ausstellungsraum demnächst (ab April) die deutschen Großstädte befahren wird.

Diese Idee des "mobilen Ausstellungsraumes" wurde geboren, als die Künstlerin vor zwei Jahren provokative Performances im Düsseldorfer Stadtraum abhielt und daraufhin von den dortigen Behörden ein "Berufsverbot" erhielt. Die Lösung: eine fahrbare Bühne der künstlerischen Kommunikation, jenseits von regionaler Beamtenwillkür.

Wobei sich m o b selbst auf zwei Ebenen begreift: der gläserne LKW bietet zum einen die Grundstruktur des Projektes als Be-Förderer der künstlerischen Themen; zum anderen bietet er Nähe, - er kommt zu den Menschen. Die gezeigten Themen wiederum generieren sich aus der Mobilität einer solchen Form der "Ausstellung"; - das mag sich auf den ersten Blick kompliziert anhören, in der Folge aber ergibt sich eine Logik:

Masse und Bewegung

Eines der zentralen Themen Claudia Rogges liegt in der Beschäftigung mit dem Phänomen der Masse. Eine sogenannte Masse kann sich auf verschiedene Weisen bilden, eine Anhäufung mehrerer Gegenstände betrachtet man als Masse, besonders aber die Versammlung mehrerer oder vieler Menschen ist die klassische Masse, auch manchmal als - der Mob - bezeichnet:

"Die Masse liebt Dichte. Sie kann nie zu dicht sein. Es soll nichts dazwischen stehen, es soll nichts zwischen sie fallen, es soll möglichst alles sie selber sein." (Elias Canetti, Masse und Macht)

Es lohnt sich, eine Verbindung zur Bildenden Kunst herzuleiten: welchen Charakter besitzt die Art von Masse, die ebenso inhaltlich wie formal dem Begriff der Ästhetik nahekommt?

- Eben auch das Interesse, das die Bildende Kunst benötigt. Kunstwerke scheinen weder ohne Leidenschaft herzustellen zu sein, noch ohne ein wirkliches Interesse zu betrachten zu sein; einfach gesagt: es ist genau jenes Nähe-Interesse, das der Bildenden Kunst als wesentlichstes Charaktermerkmal innewohnt. Und: der wesentliche Charakter des Projektes m o b nun liegt zwangsläufig in der Bewegung, - in einer Mobilität, die zu den Menschen kommen will, die ihrerseits der Statik der Masse etwas entgegensetzen will.

Die Transzendenz des LKWs stellt das Exponat auf der Schaufläche in ein direktes Verhältnis zur sichtbaren Umgebung; fährt dieser Wagen nun durch eine Fußgängerzone, ist für den Betrachter das Sichtbare dieser Straße ebenso ein Exponat wie die Darstellung auf der Ladefläche. Die Bewegung des LKWs läßt dieses "Exponat" aber niemals gleich sein, - die Bewegung verleiht dem Erscheinungsbild der "Stadt-Masse" eine anhaltende Interpretation. Und damit mündet das Phänomen "Bewegung" nun endgültig in das Phänomen "Zeit"; - für einen kurzen Augenblick sollen die Exponate das Gesamtbild der Straße verändern, die Straße wird somit Bühne und Weg zugleich.

Ebenso kann die Bewegung des LKWs die Form der Installation entscheidend mit beeinflussen, weiterhin verändert diese Form der Bewegung die Perspektive des Betrachters; - derart ensteht das Exponat überhaupt erst.

Bringen wir das hier Geschriebene auf eine mögliche Formel: - die gezeigten Attribute/Exponate gehen mit dem fahrenden LKW eine Symbiose ein; die Mobilität dieser Exponate gehört somit gleichzeitig zu ihrem Wesen und damit zu ihrem Charakter als Kunstwerk. Ein Beispiel: eines der ersten Exponatengruppen auf der Ladefläche des LKWs werden hunderte "amputierte" Köpfe von Kinderpuppen sein. So könnten sie sein, Köpfe eben, - so sind sie aber nicht. Es sind bewegte Köpfe, die sich auf einer anhaltenden "waagerechten Reise" vor den Augen der Passanten befinden; - die

Bewegung (besonders die Bewegung einer Masse) verändert die Art eines Gegenstandes vollkommen. -Nicht nur visuell, auch der Kontext, in dem man Gegenstände lokalisiert, verändert sich dauerhaft und macht so ungewohnte Konnotationen möglich: Köpfe in der Fußgängerzone, Köpfe vor einem Krankenhaus, Köpfe vor einer Ampelanlage, Köpfe vor einem Regierungsgebäude, Köpfe vor einem Schloß, Köpfe vor dem Sozialamt, Köpfe vor einer Kneipe, Köpfe vor einem Bordell, Köpfe vor einem Park, Köpfe vor einer Industriehalle, Köpfe im Sommer, Köpfe im Winter, Köpfe vor einem Einkaufszentrum, Köpfe vor einem Spiegelspiegel. Sie sind niemals gleich.

- Eine gewohnte Masse scheint schlicht die Versammlung der Dinge zu sein" ich nenne sie hier die "äußere Masse", unabhängig von Form und Beschaffenheit dieser Dinge. Der Entwurf einer "inneren Masse" hingegen besteht in der genuinen Multiplikation der Dinge, oder besser: der sich jeweils selbst wiederholenden Dinge. - Ein Gegenstand oder eine Form, die durch die Aneinandereihung ihrer Form multiplikativ und selbstgenerierend zur Masse wird, beweist einen besondere Ästhetik, - das Muster. Vergleichbar einem modularen System verrät diese Art von Masse ihre Grundfeste im Individuellen; die dauerhafte Wiederkehr des Einzelnen erst läßt die Masse entstehen, die Masse gerät andererseits zur Formel des Entschlüsselns des Einzelnen.

IIn welchem Verhältnis besteht nun diese Theorie der Masse mit der "mobilen" Arbeit Claudia Rogges, oder anders: welche Verbindung besteht zwischen der Bewegung des LKWs zum einen und der besagten Ästhetik der Masse?

- Für die Künstlerin besteht eine direkte Verbindung zwischen der "Bilderflut" des öffentlichen Stadtraumes, die als Print- und Digitalwerbung an Straßen und Gebäuden daherkommt und der Bewegungsmöglichkeit des LKWs; die Bewegung des Beobachters erst ermöglicht die Wahrnehmung der eigentlichen ganzen Masse; das statische Verharren des Beobachters hingegen beschränkt den Blick auf den Radius des individuell Erfassbaren. So gesehen gibt es diese direkte Verbindung zwischen dem Begriff der - Bewegung - und dem der - Masse die Quintessenz besteht eben in jenem mobilen Ausstellungsraum.

Die Masse der Straße ebenso wie die "Mensch-Masse" selbst stehen hier im direkten Kontrast zur Mobilität des LKWs. Betrachtet man das Phänomen der Massezuerst einmal als statisch, als träge, als bereit sein zum – bewegt werden - , so erscheint in diesem Zuammenhang die – Bewegung – als Überbringer von Nähe.

Bewegung und Nähe

Erst das, was für das persönliche Oberleben und Interesse vonnöten ist, gebiert eine Nähe und in der Folge erst das Interesse schafft die nötige Dichte zum Leben. Man könnte hier die einfache Formel heranziehen, daß erst die innere Bewegung und Leidenschaft die Zugehörigkeit zur Masse überwindet; - und somit die Individualität fördert. Eine vergleichbare Ansicht ist bei Vilém Flusser [Kommunikologie, 2000] zu lesen: "Die Entfernung eines Gegenstandes ist nicht absolut, sondern nur relativ zu meinem Dasein meßbar. Ein Gegenstand ist desto näher, je mehr er mich angeht Je "wirklicher" er wird, je mehr er sich in mich und ich mich in ihn einmische (je interessanter er wird) desto näher ist er. Der Maßstab eines solchen Zeit- und Raumerlebnisses ist mein Interesse.

Stephan Kaluza







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