Kurt Eisner
Kulturstiftung
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Preisträger 2002: Pia Lanzinger

Das Unternehmen im Wohnzimmer
Schöner Leben als Telearbeiterin?


Schöne neue Telearbeitsswelt

Die heutigen Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik führen in vielen Bereichen zu enormen Veränderungen, die nicht nur die Wirtschaftswelt betreffen, sondern ebenso die ganz alltäglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Bekanntlich wird die Telearbeit in naher Zukunft zu einem wichtigen Thema im Rahmen von Organisations-, Flexibilisierungs- und Strategiekonzepten werden. Weniger Aufmerksamkeit wird der Tatsache beigemessen, dass es sich dabei vorwiegend um Tele-Heimarbeit handelt. 1994 gab es in Deutschland 150.000 Telearbeitsplätze, mittlerweile sind es mehr als zwei Millionen. In den USA arbeitet bereits ein Viertel aller BüroarbeiterInnen in den eigenen vier Wänden. Wird es immer unerheblicher, wo wir unseren Arbeitsplatz haben? In dem Buch " Megatrends 2000 kann man lesen, dass "das neue elektronische Herzland von Menschen bevölkert sein wird, die in ihrer Arbeit nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind ... Menschen, die ihre Arbeit überall tun können und die sie in einer Umgebung tun können, die ihnen zusagt ... Wir werden uns nicht mehr in Städten oder Vorstädten zusammendrängen, wie wir das noch im Industriezeitalter getan haben."

Doch die Entwicklung der Raumordnung in Deutschland zeigt, dass das immanente Dezentralisierungspotential technischer Innovationen nicht realisiert wurde, sondern die Städte weiter anwuchsen. Sollte Telearbeit weiter zunehmen, werden in erster Linie die Ränder der großen Zentren sich vergrößern und die Landschaft wird durch solch eine Suburbanisierung weiter zersiedelt. Bestimmte Dienstleistungen werden immer mehr über Teleaktivitäten erbracht, was vor allem Arme, Alte und Geringerqualifizierte betreffen wird, die zu den VerliererInnen der sich etablierenden Zweiklassen-Informationsgesellschaft gehören werden. Und inwieweit wird das öffentliche Leben durch den zunehmenden Rückzug in die eigenen vier Wände weiter verarmen?

Die Ungleichheit der Arbeit

Als eine Art Vorstufe von Telearbeit kann die Teilzeitarbeit angesehen werden. Hier zeigt sich bereits, dass Männer und Frauen nicht dieselbe Arbeit machen, weil der Wert ihrer Arbeit nicht in derselben Weise anerkannt wird. So verläuft bei gleicher Arbeit die Trennlinie zwischen Teilzeit-Arbeitsplätzen, die von vornherein als unqualifiziert abgestempelt sind, und Vollzeit-Arbeitsplätzen, die ein Minimum an Professionalität garantieren. In den Bereichen, die Bastionen der Frauenbeschäftigung sind, konnte sich die Teilzeitarbeit ungehindert entwickeln. Wer Teilzeitarbeit sagt, meint Frau: Mit 91 % stellen sie den größten Anteil der Teilzeitbeschäftigten. Und es ist bereits absehbar, dass die Hauptmerkmale der Teilzeitarbeit, die Konzentration, Feminisierung und Dequalifizierung auch die Telearbeit betreffen werden. Teilzeitarbeit ebenso wie Telearbeit soll es den Frauen ermöglichen, Berufs- und Reproduktionsarbeit miteinander zu verbinden. Diese Idealisierung unterstützt die Verbreitung und Normalisierung von flexibilisierten Arbeitsformen unter Frauen, ohne den damit einhergehenden prekären Lebensverhältnissen und der zunehmenden sozialen Polarisierung entgegenzutreten.

Die Telearbeiterin

Meist wird Telearbeit von Frauen unter dem Aspekt der idealen Vereinbarung von familiären und beruflichen Bedürfnissen gesehen. Hierbei kommt wieder die klassische Arbeitsteilung des weiblichen als privaten - bei Kindern, Küche und Familie - und des männlichen als öffentlichen Raums zum Tragen. Völlig marginal bleibt jedoch, dass damit die traditionelle Rolle der Frau festgeschrieben wird, statt eine Gleichberechtigung der Geschlechter anzustreben. Dies ist vergleichbar mit den Rationalisierungsbemühungen der Hausarbeit in den 20er Jahren, die durch die Minimierung des Kraft- und Zeitaufwands fälschlicherweise als Strategie der Emanzipation angesehen wurden.

Wie verändern sich gerade für Frauen aufgrund der globalen wirtschaftlichen Entwicklung die Bedingungen der Arbeit? Was bedeutet etwa die Flexibilisierung der Arbeit für Frauen? Wo und unter welchen Bedingungen sind sie im "globalen" lokalen Wirtschaftsraum räumlich repräsentiert?

Raus aus der "sozialen Hängematte" -
rein ins Wohnbüro


Teleheimarbeit wird bezeichnenderweise auch "isolierte Telearbeit" genannt. Die TeleheimarbeiterInnen haben so gut wie keinen persönlichen Kontakt zum Arbeitgeber, den KundInnen bzw. den KollegInnen. Dafür kann die Arbeitszeit - soweit die Umstände (z.B. Kinder) dies zulassen - frei eingeteilt werden. Diese Form der Telearbeit wird häufig von Frauen geleistet. Fast ausschließlich von Frauen werden einfache Tätigkeiten für Gewerbetreibende oder

Freiberufler erledigt - eine Form von Telearbeit, die auch als Heimarbeit bezeichnet wird. Zudem gibt es noch die "alternierende Telearbeit", eine Kombination aus Bürotätigkeit und Telearbeit daheim.

Durch die räumliche Verschränkung von Büro- und Privatsphäre besteht die Gefahr, dass die beiden Bereiche nicht richtig voneinander getrennt werden und sich somit gegenseitig beeinträchtigen. Gerade Telearbeiterinnen neigen zur Selbstausbeutung, Überarbeitung und Nachtarbeit, da die Familie die Frauen tagsüber in Anspruch nimmt. Nach der Zeitschrift "Capital" vom März 2002 liegt es für den Arbeitgeber nahe, "die Wohnung des Arbeitnehmers zum Home-Office aufzurüsten". Zudem kann er dabei teure Infrastrukturen vom Parkplatz bis zur Kantine reduzieren. Denn schließlich "wollen wir ja nicht, dass sich diese Menschen in der sozialen Hängematte ausstrecken."  (Capital 3/02)

Wohnen und Arbeiten

Erst mit dem Aufkommen außerhäuslicher Lohnarbeit entstand Wohnen als räumliches, zeitliches und inhaltliches Gegenüber zur im Betrieb organisierten beruflichen Arbeit. Nur die Reproduktionsarbeit verblieb als "Hausarbeit" in der Wohnung und wurde Sache der Hausfrau. Der Funktionalismus der 20er Jahre belegte die Zimmer mit eindeutigen Benutzungsvorschriften. Ein (Arbeits-) Zimmer war in diesen Wohnungsgrundrissen weder für die Ehefrau noch für den Ehemann vorgesehen. Dieses Planungskonzept für ein genormte Wohnen ist größtenteils bis heute aufrechterhalten worden.

In den letzten Jahren ist verstärkt ein Rückzug in die eigenen vier Wände auszumachen, das sogenannte "cocooning". Die zunehmende Flexibilität im Arbeitsleben, die einerseits Mobilität und andererseits Unsicherheit mit sich bringt, verstärkt das Bedürfnis nach Wärme und Geborgenheit. So steigt der Umsatz von Wohnzeitschriften Versandhäusern, Tiefkühlkost oder Essensheimservices wie "Call a Pizza". Die Vorteile eines Wohnbüros beschreibt die Autorin eines Ratgebers für Telearbeit folgendermaßen: "Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist der'Wohlfühleffekt'. In Ihrem Home-Office haben Sie die Möglichkeit, Ihren Arbeitsplatz so zu gestalten, dass Sie sich rundherum wohl fühlen. Das fängt beim Schreibtisch an, den Sie vielleicht lieber aus Holz mögen, und endet bei den Gardinen oder den Bildern an der Wand." Wie wandelt sich nun das Wohnen, wenn außer der sogenannten Reproduktionsarbeit wieder andere Arbeitsbereiche in die Wohnungen Einzug halten? Wird eine Korrektur der Trennung von Arbeiten und Wohnen erfolgen? Werden die beiden Bereiche miteinander vermischt oder findet eine scharfe Trennung innerhalb des Wohnbereichs statt? Was für kreative Impulse entwickeln sich dabei?

Das Projekt "Das Unternehmen im Wohnzimmer. Schöner Leben als Telearbeiterin?

Das räumliche und zeitliche "Management" von Teleheimarbeit versetzt die modern-funktionale Ordnung des Privathaushaltes in einen Zustand, für den es keine eindeutigen Normen gibt. Man könnte von einem blinden Fleck des postmodernen sozialen Raumgefüges sprechen. Umso spannender ist die Frage, wie die Protagonistinnen dieser Entwicklung mit den vorgegebenen Strukturen und den neu hinzukommenden Anforderungen umgehen. Wo und wie werden Grenzen gezogen bzw. verschoben? Wie wird mit Konflikten umgegangen? Wo werden Vorbilder, Modelle, Konzepte ausgeliehen? Wie reagiert die soziale Umwelt? Um diesen Fragen nachzugehen, möchte ich mit Telearbeiterinnen - mit möglichst variierenden Tätigkeitsfeldern - Kontakt aufnehmen. Zwar ist die Arbeit einer Künstlerin eine selbständige, trotzdem ist die Arbeitssituation oft nicht unähnlich. Auch ich arbeite in meiner Wohnung und kenne insofern die tagtäglichen Vor- und Nachteile der Vermischung des Wohn- mit dem Arbeitsbereich. in der Rolle der Beobachtenden, Fotografierenden und Nachforschenden gehe ich davon aus, dass es in den Wohn- und Arbeitsbereichen der Telearbeiterinnen eine ästhetische Ebene geben wird, auf der der Umgang mit den Problemen weniger in rationalen Strategien als in einer "Kunst" des Handelns seinen Ausdruck findet.

Interessant für die Telearbeiterinnen dürfte es daher auch sein, die Organisationsformen, die sich bei anderen herausgebildet bzw. räumliche Gestalt angenommen haben, mit eigenen zu vergleichen, sowie die diversen darin eingeflossenen Absichten und Konflikte zu besprechen. Diese Gesprächsrunden sollen auch das Problem des Kommunikationsverlusts mangels physisch präsenter KollegInnen ausgleichen helfen. Dabei soll die Idee zu einem gemeinsamen Projekt entstehen, das die verschiedenen Blickweisen der Telearbeiterinnen erkennen lässt. Neben der Absicht zu einem Treffen einzuladen, könnte es auch interessant und konstruktiv sein, eine Diskussion mit TheoretikerInnen wie ArchitektInnen oder SoziologInnen zu veranstalten, in der die gesamte Problematik angesprochen werden kann.

Die dabei gewonnenen Erfahrungen beabsichtige ich in eine multimediale Rauminstallation umzusetzen: So soll in einem Ausstellungsraum eine Telearbeitssituation mit all ihren häuslichen Konflikten in einer ironisch übersteigerten Form simuliert werden, ohne den Kontakt zu den tatsächlichen Problemen und Potentialen einer in sich prekären Situation zu verlieren. Die gemeinsam entwickelten Projekte werden integriert. Zudem sind die der Telearbeiterinnen eingeladen, sich mit Möbeln, Kleinteilen, Apparaten, oder auch mit Fotos und virtuellen Daten an der Installation zu beteiligen. Eine Art kleines Chaos soll auf die Unsicherheit und Unbestimmbarkeit der Dynamik aufmerksam machen, die sich in diesem Bereich unterschwellig entwickelt. Die Konfusion zwischen den Feldern Privatheit, Arbeitswelt, Technologie, Alltagsgeschicklichkeit etc. soll auf diese Weise wahrgenommen, einbezogen, ausgekostet und reflektiert werden.

Pia Lanzinger






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